Thursday, November 13, 2014

Das Problem der slavisch-deutschen Mischtoponyme


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Namenkundliches Symposium an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel vom 16. – 18. Oktober 2014 zum Thema "Mehrsprachige Sprachlandschaften? Das Problem der slavisch-deutschen Mischtoponyme" / "Multilingual Language Landscapes? The Problem oft the Slavic-German Mixed Toponyms"
Bericht von Karlheinz Hengst
Der nachfolgende Bericht ist absichtlich ausführlich gehalten. Dies geschieht aus mehreren Gründen. Erstens im Hinblick auf eine sich erfreulicherweise an der Universität in Kiel neu entwickelnde Forschungsstelle zum slawisch-deutschen Sprachkontakt unter Nutzung von Eigennamen als sprachgeschichtlichen Quellen. Zweitens, weil mit den neuen Kieler Bemühungen um sprachhistorische Prozesse und ihre Aussagefähigkeit zur Kulturgeschichte einer Region an die dortigen von dem Kieler Germanisten Friedhelm Debus geförderten und besonders von der Slavistin Antje Schmitz geleisteten Forschungen in den letzten Jahrzehnten angeknüpft wird. Drittens, auch deshalb, da nun erstmals in der jüngeren Forschungsgeschichte den sogen. Mischnamen eine ganze Tagung gewidmet wurde. Viertens schließlich auch, um zu zeigen, welche breite Resonanz die Thematik von slavistischer sowie sprachhistorischer Seite auch über Deutschland hinaus gefunden hat und sich daher künftig sogar für ein Thema im europäischen Maßstab unter Einbeziehung west- und osteuropäischer Länder anbietet.
Im Rahmen der Kieler Graduiertenschule (Graduate School at Kiel University) und ihrer fächerübergreifenden Forschungsthematik Human Development in Landscapes fand eine echte Arbeitstagung zur slawisch-deutschen Sprachkontaktproblematik im Mittelalter unter Leitung des Sprachwissenschaftlers Norbert Nübler vom Institut für Slavistik der Universität statt. Unmittelbaren Anlass dazu bot die Dissertations-Thematik seiner Schülerin Kathrin Marterior zu Fragen des slawisch-deutschen Sprachkontakts in Ostholstein. Eingeladene Teilnehmer des Symposions waren infolgedessen vor allem Slavisten. Aufmerksamkeit erfuhr die Tagung auch durch Grußworte seitens des Prodekans Michael Düring sowie aus dem Mund des Altphilologen Lutz Käppel als stellv. Sprecher der Kieler Graduiertenschule.
Vertreten waren als aktiv Mitwirkende Forscher aus Leipzig, Wien, München und Regensburg. Grundsätzliches zu "Typen slawischer und deutscher Hybridbildungen in der Toponymie" behandelte Karlheinz Hengst (Leipzig) in seinem Einführungsvortrag an Beispielen aus dem östlichen Mitteldeutschland. Gestützt auf seine Forschungserbnisse sowie u.a. die der gesamten Leipziger Schule und auch der ehemaligen Berliner Akademie schränkte er den etwas vagen Terminus Mischname auf die echten Mischbildungen ein, grenzte sie von anderen Typen sogen. Kontaktnamen deutlich ab und empfahl für das Ergebnis von echten Hybridbildungsprozessen Hybridonym als international leicht verständlich. Erstmals konnte er germanisch-slawische Hybridonyme als bisher nicht behandelten Typ vorstellen. Im Einzelnen handelte es sich dabei um Hybridtoponyme und Hybridhydronyme. Kritisch beleuchtet wurden innerhalb der slaw.-dt. Hybridtoponyme die Bildungen mit -burg, was sogar zur Beurteilung des viel diskutierten Wogastisburg als einer einmaligen Ad-hoc-Schreibung führte. Hinsichtlich der interethischen Relationen wurden die Hybridbildungen aus dem Mittelalter als Dokumente für gegenseitige Wertschätzung und Akzeptanz gewertet.
Als Veranstalter und Hausherr sprach Norbert Nübler (Kiel) "Zu einer Typologie von hybriden Toponymen" am Beispiel von Namen aus dem Raum von Holstein. Sein Anliegen war, Fragen aufzuwerfen, dabei Namenformen auf ihre Zuverlässigkeit hin zu prüfen, aber auch die Kompatibilität der Terminologie bei der neuerlichen Analyse von Hybridbildungen mit der der historischen Sprachwissenschaft generell zu beachten. Damit bot der Vortrag einen Einblick in die Diskussionen der neuen und jungen Kieler Forschungsgruppe zu Fragen von zeitweiliger Zweisprachigkeit, von der sozialen Breite und Reichweite einer solchen eventuellen Zweisprachigkeit sowie auch zu Abgrenzungskriterien zwischen Hybridbildungen und Adaptations- und Integrationserscheinungen von Lehnnamen.
In der Diskussion wurde im Laufe der drei Tage wiederholt auf diese Komplexe innerhalb der Sprachkontaktproblematik rekurriert. Aufmerksamkeit wurde gelenkt auf Fragen der Namenbildung (Regeln für Komposition und Derivation), der phonematischen und morphologischen Adaptation sowie auf die Suche von bestimmten Gesetzmäßigkeiten in den Prozessen von Sprachkontakt und Namenübernahme. Eine sich wiederholt herauskristallisierende Thematik bildeten dabei die sich besonders nach 1400 n.Chr. im deutschen Sprachraum zeigenden Prozesse einer scheinbaren sekundären semantischen Verankerung (SSSV) ursprünglich slawischer Toponyme im deutschen Sprachsystem. Solche oft einfach auch als sekundär semantisch motiviert bezeichnete Namen konnten daher als Nachweise für Zweisprachigkeit gänzlich ausgeschieden werden.
Die erfahrene und international bekannte Namenforscherin Inge Bily (Leipzig) schloss sich mit "Mischnamen im ehemaligen altsorbischen Gebiet" und einem ausführlichen Handout an. Sie stellte dabei die Mischnamen als Indizien für Siedlungs- und Sprachkontakte im ehemaligen ostmitteldeutschen Kontaktraum zwischen Slawen (Altsorben) und Deutschen dar. Ihre übersichtlich gestalteten Ausführungen behandelten differenziert parallele Namengebung mit zeitweiliger Mehrnamigkeit von Siedlungen, Umbenennungen, Namenübersetzung, Benennungsparallelismus, Namenpaare und ihre Erscheinungsformen sowie die scheinbaren Mischnamen als Ergebnis von sekundärer semantischer Motivierung in der entlehnenden Sprache. Besondere Aufmerksamkeit erhielt der Typ Bogumilsdorf auf der Basis des unter ihrer Leitung entstandenen "Atlas altsorbischer Ortsnamentypen" (Stuttgart 2000ff.), wobei der Typ eine anschauliche Darstellung auf einer Verbreitungskarte sowie eine Betrachtung im westslawischen Sprachvergleich erfuhr.
Als dritte Vertreterin der "Leipziger onomastischen Schule" bot Kristin Loga (wohnhaft in Bremen) zurückhaltend formuliert einen Werkstattbericht "Die Mischnamen des Hersfelder Zehntverzeichnisses". Sie stellte Beobachtungen, Überlegungen und Ergebnisse aus ihrer im Entstehen begriffenen Dissertation vor. Belegdifferenzierungen und neue Zuordnungen aus sprachgeschichtlicher Sicht spielten dabei eine wichtige Rolle.Aus Österreich stellte HubertBergmann (Wien) "Osttirol – eine Namenlandschaft an der Westgrenze der Slavia submersa im Alpenraum" dar. Im Mittelpunkt stand die Region Lienz. Veranschaulicht wurden u.a. sowohl die Verwendung von Lehnsuffixen als auch die Bewahrung von Lokativformen als Lehnformen slawischer ON im deutschen Sprachgebrauch, was sich offenbar als ein besonders im oberdeutschen Sprachraum  beobachtbares Phänomen herausstellt. Und der bekannte slavistische Sprachforscher Georg Holzer (Wien) sprach danach umfassend zu "Slavisch-deutsche Mischnamen in Österreich". Das slawische Dialektkontinuum charakterisierte er nach Isoglossen von Nord nach Süd. Mit einem geschichtlichen Rückblick auf  die Ereignisse im 8. Jahrhundert (781 Zerstörung des Awarenreichs durch Karl den Großen, Anschluss des Gebietes an Bayern) wurden die Grundlagen für die beginnende slawisch-deutsche Zweisprachigkeit unter Beachtung von Privatsprache undStaatssprache markiert. Mit der ihm eigenen Gründlichkeit und Zuverlässigkeit lieferte er zugleich eine Liste mit 34 Positionen zu den Hybridbildungen mit historischen Belegen vom 9. Jahrhundert bis ins 14. Jahrhundert in Österreich. Im Mittelpunkt standen die unterschiedlichen Basiselemente vom slawischen Appellativum über PN bis zu vereinzelt auch vorrömischen Basen. Er führte als neuen Terminus das Nuncupativkompositum ein, womit er eine Bildung wie Retzbach, 1209 amnis qui Retse nuncupatur [ein Gewässer/Bach Retse genannt], als Fortführung eines aus der lebendigen Kommunikation übernommenen Lokativs slaw. *rěčě  zu rěka kennzeichnet.Der aus der "Regensburger Schule" hervorgegangene Slavist und Onomast Wolfgang Janka (München) lieferte "Anmerkungen zur Methodik der Erforschung slawisch-deutscher Mischnamen". Er ging dabei von seinen durch eigene Forschungen gewonnenen  umfangreichen Erfahrungen aus und demonstrierte seine durchweg beachtenswerten Hinweise und nachdrücklichen Orientierungen am Material der Slavica Bavaria. Als beachtenswert hielt er fest, dass es in Nordostbayern bislang keine ON vom TypArnoltici gibt. Sein besonderes Augenmerk galt der  zu beachtenden genauen Betrachtung und Analyse von Namengraphien auch hinsichtlich der Flexionsformen von PN als Erstglieder in hybriden ON-Bildungen.Der Vortrag des germanistischen Sprachforschers Albrecht Greule (Regensburg) konnte – trotz der Reisebehinderungen des Autors – erfreulicherweise durch Wolfgang Janka verlesen und anschließend auch diskutiert werden. "Historische Onomastik als Spracharchäologie" machte schon vom Thema her nachdrücklich klar, dass die schon früh überlieferten einzelsprachlichen Onyme  in zumeist lateinischem Kontext als sprachliche Scherben oder Splitter aus mittelalterlicher Kommunikation zu vergleichen sind mit den archäologischen Bodenfunden. Mit Beispielen aus Süddeutschland zu ON aus keltischer Zeit führte der Vortrag von der Spracharchäologie zur Namenarchäologie. Ein weiterer Schwerpunkt war Gewässernamen und Spracharchäologie gewidmet. In allen vorgeführten Beispielen konnte die Abfolge der historischen Sprachschichten als durch die Archäologie abgesichert unterstrichen werden. Das unterstrich auch die Behandlung von germanischen Gewässernamen zwischen Weser und Oder in Verbindung mit der Jastorf-Kultur. Die Slavisierung genuin germanischer Hydronyme wurde am Beispiel vonWakenitz und TollenseUcker und Barthe  ausgeführt. Abschließend erfolgte ein Vergleich der Bildungsweisen von Wagrier und Baiern, beide letztlich germanischer Herkunft.
Kathrin Marterior (Kiel) war die das Symposion einerseits organisatorisch bestens betreuende stille Kraft im Hintergrund und andererseits die Referentin zu "Slavisch-deutscher Sprachkontakt im östlichen Holstein". Sie gab klar zu erkennen, dass sie an die gründlichen Arbeiten von Reinhold Trautmann, Wolfgang Laur sowie vor allem auch für ihr Gebiet von Antje Schmitz anschließen wird. Nach einem Jahr Einarbeitung in ihre Thematik zeigte sie sich mit dem für sie relevanten toponymischen Material und der toponomastischen Literatur vertraut. Zur Diskussion stellte sie eine Reihe von Namen, die sie als "Problemfälle" kennzeichnete. Erscheinungen der Transsumtion und Transposition von slawischer ON sowie auch wiederholte Entlehnung  ins Deutsche spielten dabei eine Rolle. Aus dem Kolloquium sind der jungen Bearbeiterin der Fragestellung zum Umfang der Zweisprachigkeit im einstigen slawisch-deutschen Kontaktraum Ostholsteins viele Anregungen erwachsen.
Eine besondere Bereicherung am Tag der Exkursion ins altpolabische Starigard – heute Oldenburg in Ostholstein – bot der Vortrag der Archäologin Julia Menne (Kiel) "Die Slawen in Holstein. Eine archäologische Skizze". Für die sprachgeschichtliche Forschung nützlich war u.a. auch eine Zusammenschau zu Grundzügen der Keramikchronologie im Stammesgebiet der Obodriten mit einer Synopsis vom 7. bis 12. Jahrhundert nach angewandter Technik, gewählter Ornamentik und zwei üblichen Periodisierungen seitens der Archäologie. Zusätzlich ermöglichte eine Karte in der Tischvorlage eine Übersicht über Fundstellen mit slawischem Fundgut in Schleswig-Holstein sowie eine Skizze den Verlauf des limes Saxoniae mit deutlich weniger Funden westlich von diesem.
Die Exkursion selbst zum Oldenburger Wallmuseum mit großflächig gestaltetem musealem Areal vermittelte einen Einblick in das Leben und die Arbeitswelt der Wagrier als z.B. Weber, Fischer, Drechsler und Segler sowie zu Handel und Christianisierung. Die über Jahrzehnte mit viel Fleiß und Ausdauer nachgebildete slawische Lebenswelt in ungestörter Randlage lässt jeden Besucher ins Mittelalter eintauchen. Alle Teilnehmer empfanden daher den erlebnisreichen Tag als einen gut im Tagungsprogramm platzierten Höhepunkt. 
Insgesamt bewertete der Initiator des Symposions Norbert Nübler in seinem Schlusswort die Vorträge sowie die ausgiebigen Diskussionen und die Exkursion nicht nur als gelungen, sondern auch als für das Kieler Vorhaben ausgesprochen nützlich und lehrreich. Es ist seitens des Veranstalters vorgesehen, sowohl die  Vorträge als auch die Beiträge der durch Krankheit der Eingeladenen ausgefallenen Themen  in einem gesonderten Band zu publizieren. Den Veranstaltern ist für ihre weitere Arbeit voller Erfolg zu wünschen. Dies ganz besonders auch, damit sich zu den slavistische Onomastik bisher noch pflegenden Universitäten in Leipzig und Wien neben den Akademien in München und Wien nun im Norden von Deutschland  eine weitere Forschungszelle neu entfalten möge.

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